Die Bundestagswahl rückt näher, am 26. September wird gewählt. Das Lebenshilfe journal hat in Abstimmung mit dem Lebenshilfe Rat NRW nachgefragt – bei den Kandidat:innen der Parteien CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen. Die Redaktion hatte Friedrich Merz (CDU), Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Michelle Müntefering (SPD) und Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen) jeweils drei Fragen geschickt mit der Bitte, diese bis zum Stichtag 7. Juli zu beantworten.
Zu 1. Deutschland hat für die Teilhabe behinderter Menschen am Leben der Gesellschaft schon viel erreicht. Vorrangig bleibt aus meiner Sicht die emotionale und persönliche Annahme eines behinderten Menschen in unserer Gesellschaft, das erst schafft die Voraussetzung
für jeden weiteren Schritt. Ich bleibe skeptisch, ob der Weg der Inklusion in den Schulen der richtige Weg ist. Mir scheint die besondere Unterstützung durch Förderschulen, von denen wir im Hochsauerlandkreis einige haben, der bessere Weg in der Bildungspolitik zu sein. In diesen Förderschulen können die Lehrerinnen und Lehrer jedem einzelnen Kind und Heranwachsenden mit Behinderung sehr viel besser gerecht werden.
Zu 2. Menschen mit Behinderung brauchen auch im Berufsleben eine besondere Unterstützung und Zuwendung, je nach Schweregrad der Behinderung auch sehr umfassend. Ich habe von meinem letzten Besuch vor wenigen Wochen die intensive berufliche Ausbildung dieser Menschen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung des Josefsheims in Olsberg-Bigge vor Augen. Die Ausbilder dort sind mit einem bewundernswerten Engagement bei der Sache, die ihnen anvertrauten Menschen werden unter den Bedingungen ihrer Einschränkungen im Arbeiten und Lernen sehr gut auf das Arbeitsleben vorbereitet. Ich werde immer wieder an die Arbeitgeber in der Region appellieren, diese Menschen ohne Vorurteile zu Vorstellungsgesprächen einzuladen und eine Einstellung zu prüfen. Umfassende Eingliederungshilfen von Bund und Ländern können dabei ein wertvoller Beitrag für das wichtige Ziel sein, Menschen mit Behinderung einen möglichst guten und diskriminierungsfreien Zugang zur Arbeitswelt zu eröffnen.
Zu 3. Digitale Kompetenz ist die wichtigste Voraussetzung für berufliche Perspektiven in der Zukunft – auch für Menschen mit Behinderung. Deshalb muss digitale Bildung auch in den Förderschulen und in den Ausbildungsstätten der Menschen mit Behinderung eine hohe Priorität bekommen. Wenn die Schulen in Deutschland richtigerweise auch vom Bund bei der Digitalisierung unterstützt werden, dann dürfen die Förderschulen und die Werkstätten nicht vergessen werden.
Zu 1. Erst einmal möchte ich mich bei der Lebenshilfe bedanken – für die Gelegenheit, Ihre Fragen zu beantworten. Die Rechte von Menschen mit Behinderung immer und überall mitzudenken, ist für mich über die Jahre immer stärker zu einem entscheidenden politischen Anliegen geworden. Wir haben hier auch Fortschritte gemacht – etwa mit dem Teilhabestärkungsgesetz.
Aber die Erfahrung zeigt auch: Sie stehen noch immer zu selten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die Situation der Angehörigen. Damit will ich mich nicht zufriedengeben. Als SPD ist es unser Grundsatz, dass die Menschen nicht gleich sind, aber gleich viel wert! Dies auch für Menschen mit Behinderung tatsächlich Realität werden zu lassen, ist unser Ziel. Vom Wahlrecht bis Barrierefreiheit
etwa – von der Wohnung bis zum Auto. Es sind oft die kleinen Dinge im Alltag, die ganz wichtig sind. Deswegen wollen wir als nächstes auch ein Bundesprogramm Barrierefreiheit auflegen, mit dem die Städte Möglichkeiten bekommen, bessere Bedingungen vor Ort zu schaffen.
Zu 2. Menschen mit Behinderung müssen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Denn selbstverständlich gilt auch für sie das Recht auf gute Arbeit. Mit dem Budget für Arbeit und dem Budget für Ausbildung etwa sind wir da ein Stück vorangekommen, damit Menschen aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt kommen können. Viele Menschen
mit Behinderung sind gut oder sogar sehr gut ausgebildet und müssten eigentlich in Zeiten des Fachkräftemangels begehrte Arbeitskräfte sein. Als SPD unterstützen wir eine weitere Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen und die Weiterentwicklung der Ausgleichsabgabe. Aber wir wollen auch die Arbeitgeber noch besser über die vorhandenen Unterstützungen informieren, etwa zu Lohnzuschüssen: Dazu haben wir eine einheitliche Ansprechstelle für kleine und mittlere Unternehmen beschlossen.
Zu 3. Wir haben im Bundestag das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verabschiedet. Damit ermöglichen wir, dass im digitalen Raum mehr Möglichkeiten (etwa über barrierefreie digitale Produkte) geschaffen werden. Und das nach EU-weiten Standards. Der technische Fortschritt darf nicht an Menschen mit Behinderung vorbeigehen, sondern muss im Gegenteil
dafür genutzt werden, dass Inklusion gelingt. Technik soll für den Menschen da sein, nicht anders herum. Eine gute Richtschnur für den weiteren Weg ist und bleibt auch dabei die UN-Behindertenrechtskonvention.
Zu 1. Für uns Freie Demokraten war die Ergänzung des Satzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ im Grundgesetz 1994 wegweisend. Und auch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet uns zur Teilhabe und Inklusion. Dennoch ist es noch ein weiter Weg. Eine umfassende Barrierefreiheit ist dringend notwendig. Das bezieht sich auf die baulichen Voraussetzungen z. B. in einem Café oder auch auf barrierefreies Reisen. Auch das Gesundheitswesen muss
dringend stärker auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgerichtet werden. Davon profitieren alle Menschen.
Zu 2. Das Recht auf Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben ist wichtig für die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das Selbstverständnis von Menschen mit Behinderung insgesamt und auch am Arbeitsmarkt hat sich grundlegend gewandelt. Viele Menschen mit einer schweren Behinderung sind gut ausgebildet und für den Arbeitsmarkt unverzichtbar. Arbeitgeber müssen vorhandene Fördermöglichkeiten besser nutzen und sollten mutig und mit Weitsicht vorangehen. Das gilt auch für den Übergang von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt.
Es sind unbürokratische Lösungen und stärkere Anreize für den Arbeitgeber notwendig, z. B. mit dem Budget für Arbeit. Darüber hinaus ist das Werkstattsystem ein wichtiger Bestandteil für die Teilhabe am Arbeitsleben. Viele Menschen arbeiten gerne dort und wir wollen die Entlohnung und die sonstigen Unterstützungsleistungen dort neu gestalten, um den berechtigten Wünschen und Situationen der Beschäftigten besser zu entsprechen.
Zu 3. Die Chancen der Digitalisierung sind immens. Für die Freien Demokraten ist dabei klar, dass gesellschaftliche Teilhabe auch im digitalen Raum gelten muss. Bestehende rechtliche Anforderungen, beispielsweise zur barrierefreien Gestaltung von Websites, müssen daher konsequent umgesetzt werden. Auch die Anwendung von Apps sollte barrierefrei möglich sein. Und insbesondere für das Arbeitsleben oder im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer Werkstätte muss die Weiterbildung mit digitalen Kompetenzen stärker zur Anwendung kommen. Wir sprechen uns zudem für ein Recht auf digitale Teilhabe aus.
Zu 1. Das Recht auf gleiche Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung ist ein Grundrecht. Wir wollen die Inklusion als Querschnittsaufgabe in den Fokus rücken. Menschen mit Behinderung müssen in allen Bereichen mitgedacht werden. Sei es bei der Verkehrsplanung, der Gesundheitspolitik, der Familienpolitik, der Bildung, dem Arbeitsmarkt oder der Digitalisierung. Einen großen
Schwerpunkt legen wir auf weniger Bürokratie. Sie führt meist dazu, dass Menschen mit Behinderung Leistungen, die ihnen zustehen, nicht abrufen können. Menschen mit Behinderung müssen sich auf ein sicheres Netz in unserer Gesellschaft verlassen können, deshalb wollen wir das Bundesteilhabegesetz reformieren und für ein echtes Wunsch- und Wahlrecht mit einem unbürokratischen Bundesteilhabegeld einstehen.
Zu 2. Wir müssen konsequent den Umbau zum inklusiven Arbeitsmarkt schaffen. Dazu gehört, dass Leistungen zur Teilhabe zu jedem Zeitpunkt, sei es in der Ausbildung, im Beruf, oder im lebenslangen Lernen beansprucht werden können. Der Wechsel in den allgemeinen Arbeitsmarkt hat für uns Priorität: Wir wollen Unternehmen unterstützen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen. Von Unternehmen, die das nicht tun, fordern wir höhere Ausgleichsabgaben, mit denen wir dann inklusive Arbeitsplätze fördern. Eine Beschäftigung in einer Werkstatt darf nicht zu einer Ungleichbehandlung führen. Deshalb wollen wir die Werkstätten zu Inklusionsunternehmen umbauen, in denen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf mindestens Mindestlohnniveau ermöglicht wird. Wir wollen Arbeitnehmer:innenrechte stärken und fördern Strukturen, in denen Menschen mit Behinderung sich selbst vertreten und ihre Rechte einfordern.
Zu 3. Die digitale Welt bringt viele Chancen, gesellschaftliche Barrieren abzubauen. Gerade Menschen mit eingeschränkter Mobilität können sehr von ihr profitieren. Aber es ist auch an uns, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass alle Menschen den gleichen Zugang zur Digitalisierung haben. Deshalb wollen wir massiv in die digitale Ausstattung, beispielsweise in Schulen, investieren. Auch Fachkräfte wie Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Pfleger:innen müssen in der Vermittlung von digitaler Kompetenz aus- und fortgebildet werden. Wir wollen das lebenslange Lernen in Computer- und Smartphonekursen fördern und dabei die Bedürfnisse der Lernenden in den Vordergrund stellen. Barrierefreiheit muss auch im Netz präsenter werden. Webseiten müssen so optimiert sein, dass Unterstützungssoftware sie gut auslesen können. Es muss mehr Angebote in einfacher und leichter Sprache geben.