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Positionierung der Selbsthilfe zur LVR-Resolution

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"Selbstbestimmte und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung erfordert auf Gleichberechtigung und Inklusion ausgerichtete gesamtgesellschaftliche Anstrengungen und gesetzliche Weiterentwicklungen“

Die Vertreter der Selbsthilfe in der Gemeinsamen Kommission zur Fortentwicklung des Landes­rahmen­vertrages fordern sie als Mitglieder der Landschaftsversammlung auf, die vorliegende Resolution, Vorlage Nr. 15/2820, nicht zu beschließen. Das SGB IX ist ein Leistungsgesetz, dass die Ansprüche der Menschen mit Behinderung auf eine selbstbestimmte Lebensführung und Teilhabe in der Gesellschaft beinhaltet. Mit dieser Resolution werden aber die bisherigen Fortschritte der Inklusion von Menschen mit Behinderung nicht nur zurückgenommen, sondern es wird der Weg hin zu einem (bestenfalls) Für­sorgesystem eröffnet, dass die Betroffenen ohne eigene Ansprüche zu Abhängigen staatlicher Systeme degradiert. Lassen sie sich bitte weder von Begriffen wie dem der „Reform­bewegungen“ oder dem Hinweis auf die Bundestagswahl täuschen. Das Ziel der Resolution ist es, das politische Mandat zur Rückabwicklung des Landesrahmenvertrags nach § 131 SGB IX zu erhalten.

Das Ziel dieser Resolution ist es, durch diese Rückabwicklung des Landesrahmenvertrages Geld ein­zusparen („Für eine nachhaltige Weiterentwicklung zur selbstbestimmten und wirksamen Teilhabe von Menschen mit Behinderung sind neben … nachhaltige auskömmliche Lösungen zur Beteiligung an den Kosten … weiterhin erforderlich“) und es ist gerade nicht das Ziel, das BTHG und damit die gesell­schaft­liche Teilhabe von Menschen mit Behinderung umzusetzen. Dies ist auch eine Frage der Haltung im Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Wir können sie nur bitten, sich nicht als Steigbügelhalter für die Umkehrung der Inklusion der Menschen mit Behinderung und des Rechts auf Teilhabe missbrauchen zu lassen.

Um es hier ganz klar zu formulieren, entgegen der Behauptung in der Resolution ist das SGB IX kein (!) Ausfallbürge für fehlende Barrierefreiheit im Bereich Wohnungsbau, Raumplanung, ÖPNV oder Arbeits­markt. Die UN-BRK geht weit über diese Barrieren hinaus und fordert gerade auch die Beseitigung von einstellungsbedingten Barrieren, wie es sie oftmals im Arbeitsleben gibt. Deshalb ist das SGB IX die Rechts­grundlage der bedarfsgerechten und auf den Einzelnen zugeschnittenen Unterstützung. Diese Unter­stützung ergibt sich gerade aus der Wechselwirkung der Beeinträchtigung mit den individuellen kontext- und umweltbezogenen Barrieren. Alles andere ist eine Umkehrung der Ausrichtung des BTHG.

Wir dürfen daran erinnern, dass es im Juli 2024 das Papier „Arbeitspapier zur Reduzierung der Komplexität bei der Umstellung von ambulanten Leistungsangeboten (BeWo) und besonderen Wohn­formen für erwachsene Menschen mit Behinderungen auf die neue BTHG-konforme Leistungs- und Finanzierungssystematik“ seitens der Landschaftsverbände gab, das im Oktober 2024 durch das Papier „Übersicht der aus Sicht der Landschaftsverbände zu ändernden Passagen im Landesrahmenvertrag (LRV)“ ergänzt wurde. Das Problem beim letztgenannten Papier ist, dass es zwar aufzeigt, welche Passagen des LRV geändert werden sollten, es aber noch immer keine konkreten Vorschläge enthält. Es gibt auch keine entsprechende Vorlage der Landschaftsverbände für die am 11. Dezember 2024 stattfindende Sitzung der Gemeinsamen Kommission. Laut den Landschaftsverbänden ist es so, dass die „zu ändernden Passagen des Landesrahmenvertrags seitens der LVe erarbeitet und die Aufnahme der weiteren Gespräche zur Umstellung II … für März 2025 geplant (sind)“. Wir fragen uns aus Sicht der Betroffenen seit Juli 2024, wo die konkreten Vorschläge bleiben. Die ihnen vorliegende Resolution konkretisiert nun die Gedanken des LVR unter den Punkten 1. und 2. zum ersten Mal. Schaut man sich diese Forderungen an, so werden die seit 2019 auch von den Mitarbeitenden der Landschaftsverbände mit hohem Engagement geführten Verhandlungen ins Gegenteil verkehrt.

Im Übrigen schließen wir uns der Stellungnahme der Freien Wohlfahrtspflege an und möchten aus­drücklich auch von unserer Seite davor warnen, entsprechend der Resolution eine "Ablösung des Verein­barungsprinzips (Kontrahierungszwang nach §§ 123 ff SGB IX)" zu fordern. Es darf diese wesentliche Grundlage für das Sozialgefüge in unserem Land nicht mit dem Argument einer damit zu erreichenden "Entbürokratisierung" in Frage gestellt werden.

Zu den einzelnen Punkten unter 1. und 2. nehmen wir kurz Stellung.

  • Inhaltliche Beibehaltung des „Wesentlichkeits-Begriffes“ für den leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe und somit keine Ausweitung der Anspruchsberechtigung.

Dies bedeutet nichts anderes wie die zukünftige Exklusion von Menschen mit Behinderung und deren Bedarfe, sowie die Ablehnung der sich aufgrund von Teilhabeleistungen noch entwickelnden Bedarfe (zum Beispiel im Arbeitsleben). Der Gesetzgeber führt zur Verwendung dieses Begriffs „Wesentlichkeit“ aus: „Der geltende Behinderungsbegriff für die Eingliederungshilfe mit dem Merkmal der Wesentlichkeit ist veraltet und weitgehend defizitorientiert; er definiert sich u. a. über die Abweichung der individuellen Funktion, Fähigkeit oder Gesundheit vom für das Lebensalter eines Menschen typischen, als normal angesehenen Zustand. Er bezieht nur unzulänglich gesellschaftliche Veränderungen sowie das gewandelte Rollenverständnis von Menschen mit Behinderungen ein. … Danach zählen zu den Menschen mit Behinderungen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnes­beein­trächtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. … Die neue Definition setzt in Abkehr von der bisherigen Defizitorientierung an den Ressourcen der Menschen mit Behinderungen an.“ (BT- Drucksache 18/9522, Seite 275)1

  • Zur Stärkung der Steuerungsmöglichkeiten und des Sicherstellungsauftrages ist eine verbindliche Sozial- und Bedarfsplanung erforderlich. Die Ablösung des Vereinbarungsprinzips (Kontrahierungs­zwang nach §§ 123 ff SGB IX), ein bedarfsgerechtes regionales Belegungsrecht, …

Diese Forderung löst das bekannte sozialversicherungsrechtliche Leistungsdreieck auf und beendet jegliches Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung. Es führt zurück zu einem Fürsorge­system, bei dem die leistungsberechtigte Person an Unterstützung oder besser als Fürsorge annehmen muss, was ihr geboten wird. Das macht die Betroffenen zu Bittstellern und ist das genaue Gegenteil von Inklusion.

  • Effektive und zielgerichtete Komplexreduzierungen im Vertragsrecht unterstützen eine Ent­büro­kratisierung. … Gesamt- und Teilhabe­planverfahren sind auf effektive Bedarfsermittlung und mit Bezug zur Leistungswirkung auszurichten.

Die Gesamt- und Teilhabepläne dienen gerade der konkreten Bedarfsermittlung, weshalb wir diese Forderung nicht nachvollziehen können. Aus der Begründung des BTHG folgt „Der Gesamtplanung kommt im Kontext personenzentrierter Leistungsgewährung und -erbringung eine Schlüsselfunktion zu. Sie ist die Grundlage für die Sicherstellung einer bedarfsdeckenden Leistungserbringung. … … Im Interesse aller Beteiligten wird mit dieser Regelung den Funktionen des Gesamtplans der Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses adäquat Rechnung getragen und ins­besondere auch die Position des Leistungsberechtigten sowohl gegenüber dem Leistungsträger wie auch gegenüber dem Leistungserbringer gestärkt.“ Die in der Resolution geäußerte Kritik mag vor diesem Hintergrund auch auf den Anwender der Normen, den Landschaftsverbsand Rheinland zurückfallen. Wir wissen auch nicht, was der Begriff der Effektivität mit individueller Bedarfsermittlung zu tun hat, aber das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren orientiert sich an den Vorgaben der UN-BRK und ist im Interesse der Betroffenen effektiv. Und wer von uns will schon beim Arzt pauschal behandelt werden?

  • Dem Fach- und Arbeitskräftemangel auf Leistungserbringer- wie auf Leistungsträgerseite muss durch verschlankte und digitalisierte Verwaltungsprozesse und zunehmender Nutzung von Künstlicher Intelligenz begegnet werden.

Es stellt sich die Frage, was diese Aussage mit einer Resolution zu tun hat. Die genannten Prozesse hätten schon längst von den Landschaftsverbänden umgesetzt werden können.

  • Es bedarf zudem der Erleichterung und Beschleunigung der Berufsanerkennung, auch Theorie­reduzierter Ausbildungen und einer Harmonisierung landes- und leistungsrechtlicher Regelungen.

So sehr wir die Intention nachvollziehen können, fehlt es an der Antwort auf die Frage, wie damit dennoch die Qualität der Versorgung sichergestellt werden soll. Zur Frage der Flexibilisierung gibt es einen Vorschlag der Selbsthilfe.2

(2.)

  • Die Verantwortung für eine gleichberechtigte Teilhabe muss von den Regelsystemen ausgehen und die Verlagerung der Kosten in die Eingliederungshilfe ist zu beenden.

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es nicht die Aufgabe des BTHG ist, ein Ausgleich für die Defizite anderer „Regelsysteme“ zu sein. Hierin ist zudem eine Haltung zu erkennen, die die gesellschaftlichen Systeme in den Mittelpunkt stellt und nicht, wie es den Anforderungen der Menschenwürde und der UN-BRK entspricht, den einzelnen Menschen. Es geht bei der personenzentrierten Bedarfsdeckung des SGB IX gerade nicht um den Vergleich von „Regelsystemen“ und deren Ausfall.

  • Die UN-BRK fordert einen offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderung zugänglichen allgemeinen Arbeitsmarkt, um den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Der LVR will die Vorbild­funktion des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber weiter ausbauen.

Es freut uns zu hören, dass der LVR diesen Weg weitergehen will, fragen uns aber doch, was diese Aussage mit einer nach außen gerichteten Resolution zu tun hat.

  • Um personenzentrierte Möglichkeiten für Leistungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter­zuentwickeln ist der geschlossene Leistungskatalog nach § 111 SGB IX zu überdenken.
Dieser Forderung schließen wir uns gerne an, fragen aber auch, wie das mit der Aussage zu den Ver­lagerungen der Kosten in die Eingliederungshilfe zu vereinbaren ist. Es zeigt, dass es sich bei der Resolution um eine Positionierung des LVR zu den Verhandlungen des Landesrahmenvertrags handelt. Das sollte der Landschaftsversammlung dann aber auch so vorgelegt werden.

1 Drucksache 18/9522, ab Seite 276 begründet der Gesetzgeber im Widerspruch zum zuvor gesagtem, warum der Begriff der Wesentlichkeit doch verwendet werden soll.

2 „Die Erbringung der Assistenz im Sinne des § 78 SGB IX aus Sicht der Vertreter*innen der Selbsthilfe in der Gemeinsamen Kommission“, Sitzung am 13. März 2024

Autismus Landesverband NRW
Autismus Landesverband NRW
Landesbehindertenrat NRW
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LAG Selbsthilfe NRW
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Lebenshilfe NRW
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lvkm NRW
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