Anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2024 kritisiert die Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen e.V., dass durch das vorzeitige Ende der Bundesregierung bedeutende Gesetzesvorhaben mit großer Relevanz für die Belange der Menschen mit Behinderung nicht umgesetzt wurden. Dies stellt einen erheblichen Rückschritt für die Inklusion und die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland dar.
Ein zentrales Anliegen der Menschen mit Behinderung ist ein zweites Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt, das unter anderem eine Erhöhung des Werkstattlohns1 für Menschen mit Behinderung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sowie Regelungen zum Gewaltschutz und zu den EU-Rentenansprüchen im Bundesversicherungsamt (BfA) hätte umfassen sollen. Eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegebene Studie empfiehlt sogar, die Bezahlung von Werkstattbeschäftigten zu verbessern und das gesamte System transparenter zu gestalten. Doch die Reform wurde von der Ampel-Koalition trotz Ankündigung im Koalitionsvertrag nicht angestoßen.
Ebenso bleibt die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) aus. Diese hätte verbindliche Maßnahmen zur Barrierefreiheit bei Mobilität, Wohnen, Gesundheit und im digitalen Bereich, auch für private Anbieter, enthalten können, da freiwillige Maßnahmen bisher nicht zu den notwendigen Veränderungen geführt haben.2 Die Reform hätte entscheidende Verbesserungen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Sinne der vor 15 Jahren ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention ermöglichen können.
Besonders bedauerlich ist, dass es nach wie vor keine Entscheidung zum Gesetz zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (IKJHG) gibt. Der Gesetzentwurf war dem Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe nahe, welche die Lebenshilfe schon lange fordert3, doch die Chancen auf ein inklusives SGB VIII wurden nicht genutzt. Der Verschiebebahnhof für Kinder mit drohender Behinderung im Grenzbereich zur seelischen Behinderung bleibt bestehen, ebenso wie die unzureichende Anrechnung von Einkommen und Vermögen sowie Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche. Es fehlt an einer Regelung für eine einheitliche Gerichtsbarkeit für alle Leistungen des SGB VIII in der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Neuregelung sollte alle Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen einbeziehen, insbesondere ambulante Leistungen gemäß § 78a SGB VIII. Dies erfordert, dass die öffentliche Jugendhilfe Vereinbarungen für ambulante Leistungen abschließt und die Schiedsstellenfähigkeit erhält. Der Rechtsanspruch auf eine Leistungsvereinbarung muss im SGB VIII verankert werden, unabhängig von der Art der Leistung. Zudem sollten die Definitionen von Behinderung im SGB VIII und SGB IX übereinstimmen, ohne das Merkmal der Wesentlichkeit. Die Hilfeplanung im SGB VIII muss sinnvoll mit der Bedarfsermittlung im SGB IX verknüpft werden.
Positiv ist hingegen, dass das Gesetz zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuungsvergütung nicht verabschiedet wurde, da es dramatische negative Auswirkungen gehabt hätte. Der Entwurf hätte zu sinkenden Einnahmen der Betreuungsvereine und Betreuer:innen geführt und das Ziel einer existenzsichernden Finanzierung verfehlt. Angesichts der Preissteigerungen seit der letzten Anhebung der Vergütungssätze im Jahr 2019 und der Tariferhöhungen ist es unverständlich, warum die Vergütung für berufliche Betreuer reduziert werden sollte. Eine solche Reduzierung hätte die Attraktivität des Berufs weiter geschmälert. Hier muss die neue Bundesregierung eine andere Richtung einschlagen.
Die im Entwurf angestrebte durchschnittliche Erhöhung der Vergütung um 12,7 % wird bei weitem nicht erreicht und lässt sich schon jetzt beim Vergleich der bisherigen Fallgruppen mit dem neuen System widerlegen. Die Vergütungssätze müssen vielmehr deutlich erhöht werden, um den Preissteigerungen gerecht zu werden, insbesondere angesichts der gestiegenen Anforderungen an berufliche Betreuer seit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1. Januar 2023.
Für viele Betreuungsvereine stellen die vorgeschlagenen Vergütungsregelungen eine akute Existenzbedrohung dar. Da sie ihre Mitarbeitenden nach Tarif entlohnen, würde jede Tariferhöhung ihre wirtschaftliche Situation weiter verschärfen. Dies könnte zur Schließung von Vereinen und zur Aufgabe der Tätigkeit durch rechtliche Betreuer:innen führen, was die Betreuungsbehörden zusätzlich belasten würde. Besonders aufwendige Betreuungen werden nicht mehr zusätzlich vergütet, was Fehlanreize schafft, rechtlich betreute Personen in stationären Einrichtungen unterzubringen und nur vermögende Personen zu betreuen.
Die Lebenshilfe NRW fordert die neue Bundesregierung auf, diese drängenden Themen zügig anzugehen und die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung nachhaltig zu stärken und nicht weiter zu verschleppen.
Auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen sorgt die stockende Umsetzung des 2016 im Bundestag beschlossenen Bundesteilhabegesetzes (BTHG) für großen Unmut bei Menschen mit Behinderung, Familien und Trägern der Eingliederungshilfe. Die Personenzentrierung und verbesserte Teilhabe drohen nach jahrelangem detailverliebtem Verhandeln nun auf eine pragmatische Lösung zuzusteuern. Während wir den Pragmatismus grundsätzlich befürworten, sind wir besorgt, dass dadurch von einer echten Umsetzung im Sinne des Gesetzes nicht viel übrig bleibt.
Wir appellieren an die NRW-Landesregierung, beim Gesetz zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuungsvergütung, das von den Ländern finanziert wird, dieses nicht weiter aus Kostengründen zu blockieren und mit einer neuen Bundesregierung zügig im Sinne der Menschen mit Behinderung einzuwirken. Wir fordern, dass die Landesregierung anerkennt, dass die Sicherstellung der rechtlichen Betreuung für Menschen mit Unterstützungsbedarf eine staatliche Pflichtaufgabe ist, die angemessen finanziell ausgestattet werden muss.
1 Lebenshilfe: Auf dem Weg zu inklusiver Arbeit und gerechter Entlohnung für Menschen mit geistiger Behinderung Positionspapier der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V..
LAG Werkstatträte NRW: Stellungnahme zum Ende der Ampel-Regierung und dem befürchteten Ende des von uns erhofften 2. Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts.
LAG Werkstatträte NRW: Positions-Papier Arm trotz Arbeit.
LAG Werkstatträte NRW: Eine Ergänzung zum Positionspapier Arm trotz Arbeit.
Werkstatträte Deutschland: Stellungnahme: Was bedeutet das Ende der Ampel-Regierung für die 300.000 Werkstatt-Beschäftigten?.
2 BMAS: Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Abschlussbericht.
3 Lebenshilfe: Die Kinder- und Jugendhilfe muss endlich inklusiv werden!.
Lebenshilfe: Die Reform der Kinder- und Jugendhilfe.
Am 3.12.2024 war Internationaler Tag
der Menschen mit Behinderung.
Die Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen e.V. sagt:
Die Bundes·regierung hat wichtige Gesetze
für Menschen mit Behinderung nicht gemacht.
Das ist schlecht für die Inklusion.
Und schlecht für die Rechte von Menschen mit Behinderung.
Ein wichtiges Gesetz:
Das zweite Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt.
Durch das Gesetz sollen Menschen mit Behinderung
in den Werkstätten mehr Lohn bekommen.
Auch mehr Schutz vor Gewalt war geplant.
Und bessere Renten-Regeln.
Ein anderes wichtiges Gesetz:
Die Barriere·freiheit besser machen.
Das bedeutet:
Alles soll für alle Menschen zugänglich sein.
Zum Beispiel:
Auch für Kinder und Jugendliche mit Behinderung
ist das neue Gesetz noch nicht entschieden.
Sie bekommen oft nicht genug Hilfe.
Sie sollen Angebote bekommen wie alle anderen Kinder
und Jugendliche.
Die Lebenshilfe fordert dieses Gesetz schon lange.
Damit alle Kinder mit Behinderung
bessere Unterstützung bekommen.
Aber die Bundes·regierung hat das nicht gemacht.
Ein gutes Zeichen:
Ein neues Gesetz für Betreuer und Betreuerinnen
hat man nicht gemacht.
Das ist gut.
Denn das Gesetz war nicht gut.
Jetzt gibt es noch eine Chance.
Betreuer und Betreuerinnen sollen
mehr Geld für ihre Arbeit bekommen.
Die Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen e.V. fordert:
Die neue Bundes·regierung muss die Probleme schnell lösen.
Die Rechte von Menschen mit Behinderung
muss man stärken.
Auch die Landes·regierung in NRW muss handeln.
Das Bundes·teilhabe·gesetz ist nicht gut umgesetzt.
Die Lebenshilfe fordert auch:
Die Landes·regierung muss das ändern.
Es muss genug Geld für rechtliche Betreuung geben.
Menschen mit Behinderung brauchen gute Unterstützung.