Gastbeitrag von Matthias Seibt vermittelt durch den Landesbehindertenrat NRW
Bei vielen Psychiatrie-Erfahrenen herrscht große Unsicherheit, wie man eine Patientenverfügung für die Psychiatrie macht und ob diese funktioniert. Dem soll dieses Papier abhelfen.
Jede ärztliche Behandlung ohne informierte Zustimmung ist Körperverletzung. Von diesem Satz gibt es zwei Ausnahmen. Im Notfall (Unfall, Herzinfarkt, Insulinkoma usw.) ist der Patient z.B. wegen Bewusstlosigkeit nicht ansprechbar. Hier darf der Arzt handeln, weil die Rechtsprechung einen mutmaßlichen Willen des Notfallopfers unterstellt.
Die zweite Ausnahme kann bestehen, wenn die Person durch eine psychiatrische Diagnose diffamiert ist. Hier wird trotz deutlicher Ablehnung einer Behandlung unterstellt, dass die Person keinen „freien Willen“ habe. Sie habe nur noch einen „natürlichen Willen“ vergleichbar z.B. einem Wellensittich, der aus dem Käfig in eine ihm lebensfeindliche Freiheit flieht.
Zwar ist das nur ein unverschämter Trick1, bestimmte Menschen ihrer Rechte zu berauben, doch trauriger Weise zur Zeit Gesetz.
Erfreulicher Weise kann man sich trotz dieser Gesetzeslage2 immer vor psychiatrischer Zwangsbehandlung und fast immer vor Zwangsunterbringung in der Psychiatrie schützen. Dazu ist es nötig im „Zustand der nicht angezweifelten Normalität“ seinen Willen in einer sogenannten „Patientenverfügung“ fest zu legen für die Zeit, wo der freie Wille abgesprochen wird.
Zwei Bereiche muss die psychiatrische Patientenverfügung abdecken:
Beide Teile der psychiatrischen Patientenverfügung sind wichtig. Teil 1 bindet Ärzte, eventuelle Betreuer, Bevollmächtigte. Teil 2 sorgt dafür, dass, wenn man nur noch hirnkrankes Fleisch3 ist, eine Person da ist, die das Recht hat verbindliche Anweisungen an die Ärzte zu geben.
Die Stellung des/der Bevollmächtigten ist genau so stark wie die eines gesetzlichen Betreuers. Sie endet aber sofort, wenn die psychiatrische Diffamierung als willensunfähig endet. Ebenso kann ich den/die Bevollmächtigte jederzeit entlassen.
Hauptfunktion des Bevollmächtigten ist Arzt und Richter auf das Vorliegen der Patientenverfügung hin zu weisen. Ein Arzt, der trotz Patientenverfügung zwangsbehandelt, begeht Körperverletzung. Ein Richter, der Zwangsbehandlung oder Zwangsunterbringung trotz Patientenverfügung genehmigt, macht sich der Rechtsbeugung, der Freiheitsberaubung und der Beihilfe zur Körperverletzung strafbar. Dies muss der Bevollmächtigte Arzt und Richter freundlich aber bestimmt mitteilen.
BGB § 1827 Patientenverfügung sagt:
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(2) bis (4) [...]
(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.
Natürlich werden Psychiater und auch einige Richter versuchen, dieses schöne neue Gesetz4 zu unterlaufen, doch die Oberlandesgerichte, spätestens der Bundesgerichtshof werden den Willen des Gesetzgebers durchsetzen5.
Im wesentlichen sind zwei Vordrucke wichtig: Die Patientenverfügung6 (kurz PatVerfü) und die Bochumer Willenserklärung (kurz BoWill). Welcher dieser Vordrucke sich eignet, hängt davon ab, was man will. Lehnt man jede Art von psychiatrischer Behandlung und Diagnose ab, dann ist nur die PatVerfü geeignet. Will man nur bestimmte Behandlungen verbieten, dann ist die BoWill geeignet.
Hier ein Beispiel: Wenn ich ausraste, bringt mich ein bestimmtes Psychopharmakon schnell und zuverlässig wieder „runter“. Andere Psychopharmaka sind aber nicht hilfreich. Ich bin aber nicht in der Lage, selber für die Einnahme zu sorgen und will auch in der Situation gar keine Psychopharmaka mehr nehmen. Prinzipiell finde ich es aber gut, wenn meine Verrücktheit auch mit ärztlicher Gewalt rasch wieder beendet wird. Ein klarer Fall für die BoWill.
Zweites Beispiel: Ich vertrage das Psychopharmakon Xyz nicht. Prinzipiell bin ich aber für Psychopharmaka offen. Auch eine BoWill machen.
Nein. Auch eine Bestätigung der Zurechnungsfähigkeit durch Arzt oder Notar ist nicht nötig. Es genügt der Zustand der nicht angezweifelten Normalität.
Wenn ich etwas Geld übrig habe, sind zwei Sachen sinnvoll. Registrierung der Patientenverfügung bei der Bundesnotarkammer. Kostet per Internet 15,50 Euro bei einem Bevollmächtigten, jeder weitere Bevollmächtigte kostet 2,50 Euro extra. Falls ich etwas mehr Geld übrig habe und einen halbwegs vernünftigen Anwalt kenne, soll dieser seinen Stempel auf die Patientenverfügung machen. Das signalisiert Arzt und Gericht, das ich mich auch mit juristischen Mitteln wehren werde.
Das bedeutet, dass ich nicht zwangsuntergebracht bin, nicht unter Betreuung stehe, auch kein Betreuungsverfahren gegen mich läuft. So lange es keine Belege.
1 Siehe: www.psychiatrie-erfahrene-nrw.de, Juristisches, Der Trick mit dem freien Willen.
2 maßgeblich sind die §§ 1827-1834 BGB und die Unterbringungsgesetze bzw. Psychisch-Kranken-Gesetze der Bundesländer.
3 auch wenn es Psychiatrie-Profis nie so ausdrücken würden, - sie behandeln uns so.
4 es gilt ab dem 1. September 2009 und ist u.a. Folge unseres Engagements für den Stünker-Entwurf.
5 2011 prophezeit und 2023 Wirklichkeit.
6 ein blöder Name, denn der Gattungsbegriff lautet auch so.
Von Matthias Seibt
Eine Patientenverfügung gilt bereits, wenn sie mit Datum versehen und unterschrieben ist. Weitere Schritte zu ihrer Stärkung sind möglich und sinnvoll.
1 Am besten auf dem Formular selbst mit Stempel und Unterschrift
2 Nicht beglaubigen, sondern notariell beurkunden. Die Beglaubigung bestätigt nur die Unterschrift. Die Beurkundung bestätigt, dass man verstanden hat, was man gerade verfügt.
3 Ist zwar selbstverständlich aber: Ich muss alle fragen, ob sie als Bevollmächtigte oder Vertrauensperson oder Rechtsanwalt in meiner Patientenverfügung auftauchen wollen. Sonst sind es Papiertiger.
Überall, wo4 es Psychiatrieakten über mich gibt, kann ich meine Patientenverfügung in Kopie hinterlegen. Alle Bevollmächtigten, Vertrauenspersonen und mein/e Rechtsanw/ältin/alt erhalten eine Kopie.
Bei zentralen Vorsorgeregister5 der Bundesnotarkammer kann ich eintragen lassen, dass ich eine Patientenverfügung besitze. Kostet online etwa 15 bis 20 Euro. Richter/innen sind verpflichtet vor Einleitung eines Betreuungsverfahrens das Vorsorgeregister zu befragen, ob jemand eine Patientenverfügung besitzt.
Bei vorliegender Patientenverfügung darf kein Betreuungsverfahren eingeleitet werden. Die/der Bevollmächtigte wird benachrichtigt und muss entscheiden, ob sie/er ins Geschehen eingreift oder nicht.
4 Psychiatrie, sozialpsychiatrischer Dienst, Amtsgericht
5 Siehe www.vorsorgeregister.de. Kostenlose Anrufe beim Service-Team unter 0800 - 35 50 500
Von Matthias Seibt
Sowohl bei Bochumer Willenserklärung (BoWill) als auch bei der PatVerfü handelt es sich um eine Kombination aus Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht.
Eine Patientenverfügung benennt welche Behandlungen ich zulasse und welche ich verbiete.
Eine Vorsorgevollmacht benennt eine/n oder mehrere Bevollmächtigte für den Fall, dass man mir das Recht abspricht für mich selber zu sprechen. Diese sprechen dann in dieser (und nur in dieser) Situation an meiner Stelle.
Recht ohne Macht ist wie ein Mund ohne Zähne. Wenn ich psychiatrisiert werden soll oder es bereits bin, nimmt mich keiner mehr ernst. Die Patientenverfügung ist dann mein Mund, die/der Bevollmächtigte ist dann meine Zähne. Mit den Zähnen beiße ich, falls meine Worte nicht ausreichen.
Eine Betreuungsverfügung sagt, wen ich als Betreuer/in haben will, falls mir das Gericht eine/n Betreuer/in aufzwingt. BoWill und PatVerfü verhindern beide, dass überhaupt ein Betreuungsverfahren eingeleitet wird. Im schlimmsten Fall läuft das Betreuungsverfahren an, aber es wird kein/e Betreuer/in bestellt.
Es gibt viele weitere Situationen in denen Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten gute Dienste leisten. Alter, Wachkoma, schwere Verletzungen nach Unfällen usw. Für diese Zwecke gibt es eigene Formulare. Es wäre zu kompliziert gewesen psychiatrische und nichtpsychiatrische Situationen in einem Formular abzudecken.
Nein. Wenn Richter oder Ärzte Meinungen von Angehörigen1 berücksichtigen, dann tun sie das, weil sie wollen. Sie müssen es nicht. Daher ist die Bevollmächtigung so wichtig. Wenn die Psychiatrisierung läuft, ist es oft zu spät für Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht.
Also vorher machen!
1 Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegatte, Freund – alle haben keine Rechte gegenüber Arzt, Betreuer und Richter.